Juliane Barth
Lüneburger Heide

Ich bin seit ca. 20 Jahren im Pferdesport zuhause, vor allem in der Vielseitigkeit, und habe die ein oder andere Geschichte erlebt. Das bringt mich auch dazu, Euch jetzt in meine Welt der Pferde mitzunehmen. Mein Geld verdiene ich als selbstständiger Creative Producer in der Werbefilmbranche und in der Social Media Welt.

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Social License – wie retten wir den Pferdesport?? #wirfürdenpferdesport

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2. Dezember 2022

Ich war eingeladen zum Social License Workshop der FN und habe die 24h als unheimlich intensiv, kreativ und großes Miteinander empfunden. Wir, die da zusammen kamen – ca. 60 Vertreter aus den 6 wichtigsten „Expertengruppen“ wie Spitzensport, Wissenschaft, Breiten- und Basissport, Pferdebetriebe und Vereine, Medien und Kommunikation, Wirtschaft und Politik waren voller Tatendrang, was zu bewegen. Menschen, die sonst wenig aufeinandertreffen, hatten die Chance, über das Thema zu diskutieren. Am ersten Tag ging es erstmal um die „Problemstellung“, mit Impulsvorträgen und Arbeitsgruppen. Am zweiten Tag dann um Lösungen. Immer mit der Fragestellung im Kopf: Wie können wir es schaffen, die soziale Lizenz der Gesellschaft für den Pferdesport zu erhalten/sichern ?? Schon eine sehr spannende Fragestellung, die sich nicht innerhalb von 24h „so einfach“ beantworten lässt und ich fasse euch mal meine Gedanken dazu zusammen, was ich in den letzten 2 Tagen gehört habe, was ich wichtig finde, wo die Reise hingehen muss, etc.

Social License

Was bedeutet das eigentlich?

Mal ganz platt auf deutsch übersetzt: soziale Lizenz ist als solche auch so gemeint. Wir haben / hatten bis dato immer eine Legitimation der Gesellschaft, dass wir Pferde (sportlich) nutzen dürfen. Das ist auch aus der Historie heraus gewachsen, da wir mit dem Pferd gemeinsam die Welt erobert haben. Solange es kein Auto gab, haben wir mit den Pferden die Arbeit geschafft und den Transport bewältigt. Das geht nun immer mehr zurück, viele Menschen haben gar keinen Bezug mehr dazu und generell zu Natur und Tieren. Trotzdem war in den letzten Jahren die einhellige Meinung, dass es in Ordnung ist, Pferde zu nutzen, solange mit dem Pferd im Gegenzug artgerecht umgegangen wird und es ein schönes Leben hat. Das steht jetzt auf dem Prüfstand. Die Bilder aus Tokio gingen um die Welt und jedem war klar (ob mit oder ohne Pferdehintergrund), dass es diesem Pferd definitiv in dieser Situation nicht gut ging. Wir haben das große Problem, dass jetzt nicht mehr darüber diskutiert wird, ob es einzelne schwarze Schafe gibt oder einzelne blöde Vorfälle, sondern ob der Sport im allgemeinen mit Pferden überhaupt noch zulässig ist. Solch eine Fragestellung hat es vor 30 Jahren gar nicht gegeben.

Jetzt kann man sich fragen, warum wir uns mit dieser Fragestellung überhaupt beschäftigen?

Das sind doch nur die Ahnungslosen.. erstens: Nein, es sind nicht nur die Ahnungslosen. Sondern sogar wir innerhalb der Pferdeblase hinterfragen ja gerade sehr stark, was wir tun. Und zweitens: Wir sind eine Minderheit. Mit 2,5 Mio Pferdebegeisterten in Deutschland (das sind alle, die in und irgendwie am Rand der Blase sind) gegenüber 77,5 Mio „Anderen“ sind wir eine Minderheit. Und wenn die „Anderen“ in den Medien, der Politik und überall, wo deren Einfluss groß genug ist, immer mehr Druck ausüben (da geht’s um jetzige und zukünftige Wähler), dann werden wir als Minderheit über die Klinge springen. Dessen muss man sich bewusst sein. Wir haben keine Übermacht, wir haben keine große Lobby, wir sind dann die Leidtragenden von etwas, was wir im Grunde selbst verschlafen haben. Wir hatten es im Workshop mehrfach: Es ist viertel vor 12.

Wir müssen also erstens: Bewusstsein schaffen.

Ja, auch die schlafenden Hunde wecken. Wir müssen allen im Pferdesport klarmachen: AUFPASSEN, es ist jetzt Zeit zu handeln, Lösungen zu suchen, Probleme aufzudecken. Und das vom Spitzensportler über Influencer, Richter, Verbandsmitarbeiter, Ehrenamtler, Veranstalter, Züchter, wer auch immer. Alle 2,5 Mio müssen erstmal wissen: Es ist viertel vor 12 und wir sind kurz davor, dass die Gesellschaft unseren schönen Sport als generelle Tierquälerei betrachtet und uns damit die soziale Lizenz entzieht.

Ich formuliere das extra so drastisch, damit es in den Köpfen ankommt. Damit keiner jetzt mit dem Kopf schütteln kann und sich selbst sagt: Ach, da sind wir ja noch weit von entfernt. Ach, das passiert schon nicht. Ach, das gilt nur für andere. Natürlich wird das nicht morgen passieren. Aber: Wir haben auch morgen nicht alle Probleme beseitigt. Vor uns liegt ein riesen Haufen Arbeit!! Und da sind wir auch schon beim nächsten Punkt:

WIR müssen diese Arbeit erstmal leisten. Und zwar JEDER bei sich selbst. Wir sind groß darin, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die FN müsste mal… die Spitzensportler müssten mal… die Stallbetreiber müssten mal… die Verbände müssten mal… Man müsste mal… wer ist eigentlich man? Am Ende leider niemand. Dann wird die Arbeit, die vor uns liegt, nicht gemacht. Jeder kann bei sich selbst anfangen: Wo hatte ICH zu wenig Zivilcourage und hätte was sagen müssen? Sei es Turnier / Training / Vereinsleben? Wo gucke ich weg auf Kosten des Pferdewohls? Wo kann ich selbst mitmachen bei besserem Pferdesport bzw. Pferdewohl? Wie kann ich es besser machen? Was kann ich konkret tun, um den Pferdesport der Gesellschaft zu erklären, nahbar zu machen, attraktiver zu machen? Egal, ob es für andere sehr sichtbar ist (wie bei den soziale Medien oder bei der Übertragung des Spitzensports).

Diese Frage müssen wir uns gefallen lassen. Wir können nicht mehr wegschauen. Wir müssen uns auch besser vernetzen. Nicht gegeneinander wettern und denken, dass nur wir es richtig machen mit unseren Pferden, sondern wir müssen ein Netzwerk werden, dass durch Vielfalt besser wird. Durch Vielfalt unterschiedlicher Menschen, unterschiedlicher Meinungen, unterschiedlicher Ideen. Nur so können wir aus dieser Krise mit heiler Haut rauskommen. Das geht im Kleinen los, bei Veranstaltern, die vernetzt ein deutlich besseres Angebot erstellen können – sich gegenseitig unterstützen können, denn der eine macht es länger als der andere und hat Best Practice Beispiele, die der andere nutzen kann. Das geht weiter bei Medien, die auch ihren Content so teilen können, dass er mehr Menschen erreicht und crossmedialer verfügbar ist. Aber auch im Spitzensport – ich glaube, dass wenn mehr Spitzensportler sehen, dass andere auch mitmachen (das Problem erkennen), dann kann das zu einer Bewegung werden, die besseren Sport liefert, der dann bei der Gesellschaft sichtbar wird.

Wenn das Bewusstsein nun geschaffen ist – was müssen wir tun?

Ich clustere es in 2 Bereiche:

  • Tierwohl faktisch verbessern
  • Pferdesport/Arbeiten mit dem Pferd im allgemeinen besser darstellen / attraktiv für die „Anderen“ machen.

Das Tierwohl faktisch verbessern – und da waren sich alle im Workshop einig – wird auf jeden Fall durch 2 Dinge gelingen: Die Regeln konsequenter durchzusetzen und die Regeln anzupassen (Beispiel Gebisse). Beides ist in Arbeit. 2024 gibt es eine neue LPO und dort werden wieder einige Verbesserungen sichtbar. Aber man darf als Leser hier jetzt auch nicht zu ungeduldig sein. Ich muss den blöden Satz bringen: Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Die FN ist keine Polizei oder unser Diktator, der jetzt innerhalb von 2 Tagen neue „Gesetze“ verabschieden kann, nach denen wir besser leben. Die FN kann niemandem sein Pferd wegnehmen oder ihn ins Gefängnis stecken. Die FN ist als Dachverband mit Mitgliedern besetzt, die dann über jede kleine Veränderung entscheiden. Die FN repräsentiert ja UNS ALLE als Reiter und „Mitglieder der FN“, d.h. da ist nicht jede Veränderung mal eben gemacht. Ich muss aber sagen, dass ich im Workshop auch innerhalb der FN Mitarbeiter sehr viele kritische Stimmen gehört habe. Viele, die den Konsens teilen, dass bestimmte Gebisse zum Beispiel auf eine Blacklist gehören und der einprägendste Satz war: „Wenn wir es nicht erklären können, gehört es verboten“, da gibt’s keine zwei Meinungen. Wenn wir es selbst als Experten nicht verstehen und erklären können, dann hat es wohl auch nichts mit dem Tierwohl mehr zu tun. Die Regelung, dass ein Reiter ab einem bestimmten Level einfach alles benutzen darf, ist schlichtweg falsch. Und man kann es vielleicht auch runterbrechen (das kam von der Wissenschaft): Wenn ein Pferd klar Schmerzen erleidet (sichtbar durch Verletzungen, Blut, etc.), dann ist das nicht zu akzeptieren.

Quelle: https://www.st-georg.de

Natürlich gehören da noch viel mehr Dinge dazu, die das Tierwohl verbessern, aber wir haben uns erstmal mit der Spitze des Eisbergs beschäftigt. Und WICHTIG: die ganze Veranstaltung kann nur als KICK OFF gesehen werden. Ein Startschuss für all diejenigen, die dabei waren und die sich jetzt einsetzen und engagieren wollen und können. Die Mitwirkende suchen müssen, die den Auftrag auch als solchen verstehen und bei denen es nicht im Sande verläuft. Es sind sehr viele und große Erwartungen bei allen, die nicht dabei waren. Dass in „24h-Warendorf“ (wie es eingangs hieß) jetzt alles auf den Kopf gestellt wird. Das hätte in keinem Universum geschafft werden können. Denn das ganze Thema ist unfassbar komplex. Und es reicht nicht, alleine mit etwas anzufangen.

Überhaupt ein gutes Stichwort: Wir müssen auch gar nicht alles auf den Kopf stellen. Es gibt schon viele gute Projekte, viele Dinge, die richtig laufen. Die vielleicht zu wenig kommuniziert werden. Es gibt gute Ansätze, die man konsequenter verfolgen muss und am Ende haben wir ja auch ein sehr lange gewachsenes Regelwerk, das durch Expertise über viele Jahre dazu geworden ist. Und das braucht man nicht auf den Kopf stellen. ABER und das hab ich nun schon einige Male geschrieben: Es muss konsequenter angewendet werden. Es muss jeden treffen in einer Kontrolle. Es muss auch mal einer von den „Großen“ rausgezogen werden können, egal ob Lokalmatador oder Olympiasieger. Hier sitzen wir alle im selben Boot und die Regeln müssen für alle gleich gelten.

Was ich selbst an Tag 1 irgendwann festgestellt habe und oben schon einmal anklingen ließ: Wir haben ein großes Paradox im Medien-Bereich: Auf der einen Seite findet allgemein in der Gesellschaft eine Vermenschlichung des Pferdes statt. Als ob man dem Pferd wie einem Kind erklären könnte, wie die neue Lektion jetzt auszusehen hat und dann setzt das Pferd sie um. Das ist ja Quatsch. Und auch, dass das Pferd von selbst auf die Idee kommt, eine Anlehnung zu suchen, wenn der Zügel lose durch die Gegend schlabbert, ist Quatsch. Wie soll das Pferd denn selbst auf die Idee kommen, wenn man es ihm nicht erklärt hat? Da man aber nicht mit Worten erklären kann, kann man nur mit dem Körper erklären. Also „Körperlichkeit“ – loben / Stimme, aber auch mal treiben oder „von uns weg halten“, wenn es einen über den Haufen rennen will. Körperlich zu werden, gehört also dazu in der Pferdeausbildung und generell dem Reiten. Das bedeutet nicht mit Gewalt. Oder Zwang. Körperlichkeit ist kein negativer Begriff, sondern neutral. Aber das müssen wir auch vermitteln. Wenn wir aber – und jetzt komme ich zu dem Paradox – nur noch perfekte Momente zeigen, dass alles schön und leicht ist und das Ende der Reitstunde, wo wir kaum noch Hilfen brauchen und jedem vermitteln, dass es doch immer so schön und leicht ist, dann wird die Vermenschlichung ja immer weiter voranschreiten. Und wir befinden uns in einem Kreislauf, der definitiv nicht gut enden kann. Keiner möchte schlechte Bilder zeigen. Das ist mir klar. Aber mit diesem „unbedingt vermeiden wollen von jeglicher Kritik“ erzeugen wir immer ein nur noch größeres Spannungsfeld. Das Nadelöhr wird immer kleiner und das haben wir selbst in der Hand. Jeder.

Sehr spannend war auch der Satz: Man muss noch Reiten lernen dürfen.

Und eigentlich wollen wir ja auch, dass mehr Kinder reiten lernen, damit der Bezug zum Pferd nicht verloren geht, damit der Nachwuchs gesichert ist… das hat so viele Gründe. Aber wenn wir Reitanfänger an den Pranger stellen, weil es noch nicht so feine Hilfen sind wie bei Jessica von Bredow-Werndl, dann sind wir auch auf einem falschen Weg.

Jeder muss offen sein für Kritik, Veränderung. Das tut weh. Ja. Das wird richtig wehtun müssen, bei einigen mehr und bei einigen weniger. Keiner macht alles richtig.

Ich finde es schade, dass viele denken, es führt eh zu nix, da kommt eh nix bei raus, weil „die FN ja eh nichts macht“. Das stimmt schlichtweg nicht. Und ja, meckern lässt sich immer leicht, aber Lösungen zu finden, bedarf deutlich mehr Arbeit. Wir müssen out-of-the-box denken und da ist jeder herzlich willkommen.

Ich bin sehr happy, aktiver Teil von diesem Veränderungsprozess zu sein. Irgendwo mit meinem #wirfürdenpferdesport einen Ansatz zu liefern, meinen Kopf einzubringen, meine Reichweite zu nutzen. Und mich dabei immer wieder kritisch zu hinterfragen und euch diese Fragestellung auch einfach mit auf den Weg zu geben. Wenn Menschen miteinander sprechen, sich austauschen, was gemeinsam schaffen – dann ist es IMMER besser als ein einzelner Gedanke, der sich um sich selbst dreht. Nicht umsonst gibt es Brainstorming, ein Gedanke stößt einen anderen an und schon ist man bei völlig neuen Ideen. Aber dazu braucht es Menschen, die MITMACHEN, die ANPACKEN, die sich des Problems bewusst sind, nicht wegschauen und sich dann nicht vor der Arbeit scheuen. Diskutiert gerne mit mir – bei Instagram, Facebook oder hier direkt unter dem Beitrag in den Kommentaren.

Hier habt ihr euch schon toll miteinander ausgetauscht:

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5 Comments
  1. Antworten

    Melanie

    2. Dezember 2022

    Liebe Juliane,
    vielen Dank für diesen Artikel & für Dein Engagement! Ich bin (leider) schon lange nicht mehr aktiv im Pferdesport unterwegs, aber das ist in diesem Fall sekundär. #wirfürdenpferdesport

  2. Antworten

    Céline

    3. Dezember 2022

    Herzlichen Dank für deine wertvolle Arbeit! Ich sehe das Dilemma, es ist wie überall auch nicht ganz einfach, wo Grenzen zu ziehen sind, was man noch erlauben kann oder zeigen will… Aber das Wichtigste ist wohl, dass in allen Reiter*innenköpfen ankommt, dass von “aussen” kritisch auf den Pferdesport geschaut wird und man sich entsprechend verhalten sollte. Und das betrifft jeden, den Freizeitreiter im Wald und den Profisportler auf den im Fernsehen übertragenen Topturnieren.
    #wirfürdenpferdesport

  3. Antworten

    Elisa

    4. Dezember 2022

    Ich möchte gerne zu einem Punkt in deinem Text etwas schreiben.
    Du schreibst, dass man in der Ausbildung des Pferdes “Körperlichkeiten” braucht. Das ist so nicht richtig. Wenn man sich mit der Lerntheorie ( klassischen und operanten Konditionierung) beschäftigt, weis man, dass es auch ohne geht.
    Wir brauchen meiner Meinung nach im Pferdetraining ein komplett neues Konzept, das wissenschaftlich auf den neusten Stand ist und nicht an alten Praktiken festhält.
    Es gibt z.B Leitlinien für positives Pferdetraining und einen fairen Umgang namens LIMA.
    Wenn wir uns daran halten würden, bräuchten wir uns nicht über Social License Gedanken machen, aber dann würde es den Pferdesport auch so wie wir ihn kennen, nicht geben.

    • Antworten

      Juli

      4. Dezember 2022

      Ich habe ja im Text bereits geschrieben, dass Körperlichkeit neutral ist. Du beschreibst es als negativ. Ich wüsste nicht, in welcher klassischen und operanten Konditionierung man komplett ohne Körpersprache auskommt. Wie gesagt, man kann es dem Pferd ja schlecht durch Sprache erklären 🙈🙈🙈

  4. Antworten

    Rudolf Hübner

    22. Dezember 2022

    Interessante website.Mit freundlichen Grüßen Rudolf Hübner

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